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Ostfriesensport

Wer denkt, typisch ostfriesische Sportarten seien Wattwandern oder Teebeutelweitwurf, hat sich gewaltig getäuscht! Im Laufe der Jahrhunderte entwickelten die Friesen einige ganz eigentümliche Spiele, bei deren Betreiben von der sonst so sprichwörtlichen norddeutschen Reserviertheit wenig zu spüren ist. Einige dieser Sportarten wollen wir hier kurz vorstellen:

"Lüch up und fleu herut"

Wer das erste Mal in Ostfriesland mit dem Auto unterwegs ist, wird mit Sicherheit irgendwann auf ein unbekanntes dreieckiges Warnschild mit der Aufschrift "Achtung! Boßeln!" treffen. Und wenig später kommen sie dann schon: ein oder zwei Dutzend Ostfriesen, manche mit langen Stangen in der Hand, alle konzentriert den Flug einer Hartholzkugel verfolgend, die gefährlich schnell über die Fahrbahn saust.

Das Boßeln entwickelte sich erst mit dem Ausbau befestigter Straßen gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Ursprünge liegen sicherlich im Kegelsport, der in Ostfriesland mangels geeigneter Anlagen damals in jedem Ort vor den Wirtshäusern auf der Straße betrieben wurde. Das dabei mehr und mehr ausufernde Wetten und Trinken erweckte schnell die Missgunst der (kirchlichen) Obrigkeit, und so wurde trotz Verbots das lieb gewonnene Spiel kurzerhand auf die Straßen außerhalb der Ortschaften verlegt.

Seit der Gründung des "Friesischen Klootschießerverbandes" 1902 wurde Boßeln zu einem echten Breitensport, der heutzutage in Landesverbänden und Meisterschaften ausgetragen wird. Zusammen mit Sportlern aus den Niederlanden, Irland und Italien gibt es sogar eine Europameisterschaft im Boßeln. Der Boßelsport hat sich aus dem Klootschießen entwickelt. Zum einen brachte das Klootschießen eine schwere Technik mit sich, die nicht von vielen beherrscht wurde. Und zum anderen wurde wahrscheinlich der Boßelsport als Ausgleichsspiel eingeführt, da mangels Frostwetter kein Klootschießen durchgeführt werden konnte. Das Boßeln bietet den Vorteil, dass man es auf vielen guten Nebenstraßen zu allen Jahreszeiten betreiben kann. Wichtig ist, dass der Werfer die Beschaffenheit der Strasse kennt. Weiß er, welche Gefälle sie hat, kann er sich darauf einstellen und dementsprechend werfen. Auch interessant für den Werfer kann sein, ob die Straße eine Berme (an die er werfen kann), oder eine Spurrille hat (in der er werfen kann). Auf diese Beschaffenheiten achtet aber meistens der Anzeiger, der dem Werfer entsprechende Tipps zuruft und entscheidet, auf welcher Seite der Straße der Werfer anzulaufen und wie er zu werfen hat. Bei Wettkämpfen unterscheidet man zwischen Standkampf, bei dem immer von der gleichen Stelle abgeworfen wird, und den Wettkampf auf Strecke.

Der Standkampf findet meistens bei Vereinsmeisterschaften, Preisboßeln oder friesischen Mehrkampf statt. Der Wettkampf auf Strecke ist aber gebräuchlicher. Hierbei boßeln zwei Mannschaften gegeneinander. Dabei hat jeder Werfer 10 Würfe, die er hintereinander auf einer Strecke wirft. Der Werfer, der nach Ablauf der 10 Würfe die meisten Meter erzielt hat, hat gewonnen. Handelt es sich um ein Wettkampf zwischen zwei Boßelvereinen, so wird auf einer ca. 7 km langen Strecke geboßelt. Hierbei sind vor dem Wettkampf dem Gegner evtl. Kugelaufnahmen, Wenden usw. bekannt zu machen, falls dieser um Auskunft nachsucht. Der Anlaufbeginn, der An- und Ablauf sowie der Abwurf und das Aufsetzen der Kugel hat innerhalb der Leitpfähle, Baumgrenzen und Grabengrenzen, die die Wurfstrecke begrenzen, zu erfolgen. Als geworfen gilt die Kugel, wenn sie die Abwurfstelle nach dem Wurf mehr als fünf Meter überschritten hat. Sollte der Abwurf nicht innerhalb der angegebenen Begrenzung erfolgen, so ist der Wurf ungültig und der nachfolgende Werfer muss wieder an der gleichen Stelle abwerfen. Der Gegner erhält einen Schoet - also einen Punkt.

Klootschießen

Das Klootschießen der Friesen wurde zwar erst im 18. Jahrhundert urkundlich erwähnt, aber sicher ist, das seine Geschichte viel weiter zurück reicht. Es heißt, dass der aus Lehm oder Klei gebrannte "Kloot" (Klumpen) in seinem Ursprung eine Verteidigungswaffe war. So soll schon der Römer Tacitus berichtet haben, dass die Friesen mit Wurfgeschossen aus sonnengebrannten Lehmkugeln Eindringlinge aus ihrem Land vertrieben. Später entwickelte sich daraus ein Sport, in dessen Umfeld das Wetten, Trinken und Feiern der begeisterten Zuschauer dermaßen Überhand nahm, dass er sogar eine zeitlang verboten wurde. Heutzutage besteht der Kloot aus einer Buchholzkugel, die in drei Richtungen kreuzweise durchbohrt und mit Blei gefüllt ist, 58 mm im Durchmesser und gut ein halbes Kilo schwer. Klootschießen wird zwar von deutlich weniger Sportlern als das Boßeln ausgeübt, dennoch sind Klootschießer in der Bevölkerung höher angesehen. Und das liegt vor allem an der nicht ganz so einfach zu erlernenden Wurftechnik: Nach einem 25 Meter langen Anlauf folgt eine komplizierte Kombination aus Bein- und Armbewegungen, in deren Verlauf der Werfer eine Rampe hinaufspringt, den Wurfarm weit nach hinten reißt und den Kloot in einer fast 360° weiten Wurfbewegung von unten nach Vorne schmeißt und dabei die volle Wucht der Sprungbewegung mitnimmt. Gute Werfer erreichen damit beachtliche Weiten. Der Ostfriese Geerd Geerdes stellte 1934 einen legendären Rekord von 101,50 Metern auf, der erst 1995 durch den Auricher Harm Henkel gebrochen wurde. Heute liegt der Weltrekord bei 106,20 m, geworfen von dem Norder Stefan Albarus im Jahr 1996.

Als Hilfsmittel dient beim Klootschießen das Sprungbrett. So genannte Feldkämpfe werden bei Frostwetter ausgetragen. Hierbei wird eine bestimmte Strecke über Wälder und Wiesen durchworfen. Im Gegensatz zum Standkampf wird beim Feldkampf der "Trüll" mitgezählt. Die Strecke beträgt ca sieben km. Jede Mannschaft besteht aus mehreren Werfern (z.B. sieben) und wirft gegeneinander. Wo die Klootkugel jeweils ausrollt wird wieder abgeworfen. Der Standkampf wird häufig von Vereinen für Meisterschaften eingesetzt, da man die Klootschießerbahn auf einem normalen Sportplatz oder einer Weide aufbauen (abmessen und abstecken) kann.Von Vorteil ist außerdem, daß die Sportart auch im Sommer durchgeführt werden kann.

Das Pultstockspringen

Die ostfriesischen Hammrich-Landschaften sind durchzogen von vielen Entwässerungsgräben, und so hat, wer die befestigten Wege mit ihren vielen kleinen Brücken verläßt, ein Problem. Die Menschen früherer Jahrhunderte entwickelten dazu eine einfache wie effektive Lösung, die heute zu einem beliebten Sport geworden ist: Das Pultstockspringen. Andere Namen für diese Sportart sind Pullstockspringen, Paddstockspringen oder Fierljeppen (so genannt in den Niederlanden). Der Pultstock ist ein drei bis vier Meter langer stabiler Stab, an dessen unteren Ende eine kleine Scheibe befestigt ist. Dieses Ende wird in die Mitte des zu überwindenden Grabens gesteckt, wobei die Scheibe das Versinken des Stabes in schlammigen Grund verhindert. Dann wird tüchtig Schwung geholt und mit Hilfe des Pultstockes über den Graben gesetzt. Ist der Graben zu breit, so kann man auch - genügend Kraft vorausgesetzt - an dem Pultstock während des Sprunges hochklettern und so die Sprungweite entscheidend verlängern. Weiten von zehn Meter und mehr sind so aus dem Stand erreichbar. Auch in dieser Sportart werden jedes Jahr Wettkämpfe veranstaltet, in denen auch Neulinge ihr Geschick beweisen können. Kleiner Tipp: Den Pultstock nicht zu weit entfernt in den Gewässergrund stecken, denn sonst kann es schnell passieren, dass der Schwung nicht ausreicht...

Hier können Sie einen Meister bei der Ausübung dieser Sportart bewundern.

 

 

Schöfeln (Schlittschuh laufen)

Sobald die Ostfriesischen Wasserläufe gefroren sind hält es die wenigsten Ostfriesen im Haus. Die Schlittschuhe werden aus ihrem Sommerschlaf geweckt und ab geht’s aufs Eis. Zu früheren Zeiten war es die einfachste und schnellste Möglichkeit, Freunde und Bekannte aus den Nachbardörfern zu besuchen. Im Mittelalter wurden die Schlittschuhe aus den Fußknochen von Rindern gefertigt, welche mit Lederriemen an den Schuhen festgeschnürt wurde. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Breinermoorer (Breinermöörkes) in der Gemeinde Westoverledingen erfunden und produziert. Diese aus Metall hergestellten Schlittschuhe konnten unter jeden Schuhtyp und jede Schuhgröße geschnürt werden, was der Popularität des Schöfelns einen weiteren Aufschwung verlieh.